LG Aachen - 3 S 127/16 - Rückforderung von Geschenken bei Pflege

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Koelsch
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LG Aachen - 3 S 127/16 - Rückforderung von Geschenken bei Pflege

#1

Beitrag von Koelsch »

hierzu: http://www.alg-ratgeber.de/viewtopic.ph ... 10#p436710

Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Hermann Plagemann, Plagemann Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Frankfurt am Main
Aus beck-fachdienst Sozialversicherungsrecht 08/2017 vom 28.04.2017

Sachverhalt

Die Klägerin – ein Sozialhilfeträger – macht aus übergeleitetem Recht Ansprüche gegen die Beklagte nach § 528 BGB wegen Verarmung des Schenkers geltend. Die Beklagte hatte von ihrem Großvater seit 1998 monatlich 100 DM, bzw. seit 2002 monatlich 51 EUR erhalten. Der Großvater ist nun pflegebedürftig geworden und kann seine Pflege nicht mehr (vollumfänglich) aus eigenen Mitteln bezahlen. Die Klägerin zahlt aus Mitteln der Sozialhilfe den Differenzbetrag an das Pflegeheim. Die Klägerin fordert nun nach Überleitung der Ansprüche gem. § 93 SGB XII in Höhe der Pflegeaufwendungen das Geschenkte von der Beklagten zurück. Die Beklagte wendet ein, es habe sich um Anstandsschenkungen gehandelt. Das Amtsgericht hat dies verneint und die Beklagte verurteilt, 3.511,44 EUR zu zahlen. Dagegen richtet sich die Berufung der Beklagten.

Entscheidung

Das LG gibt der Berufung in vollem Umfang statt und weist die Klage ab. Anstandsschenkungen beruhen im Vergleich zu den Pflichtschenkungen zwar auf einer geringeren moralischen Verpflichtung, ihr Unterlassen würde jedoch gegen die Anschauung der sozialen Kreise des Schenkers verstoßen und einen Verlust an Achtung und Ansehen für ihn mit sich bringen. Maßstab für die Bestimmung des Anstands und ggf. für die Begrenzung des Umfangs eines Geschenks sind daher die Personen, die aus den sozialen Kreisen des Schenkers stammen. Diese lassen sich anhand der örtlichen und sozialen und standesgemäßen Verkehrssitte bestimmen. Es handelt sich bei dem Betrag nach dem von der Klägerin erstinstanzlich nicht bestrittenen Vortrag der Beklagten auch um einen solchen, der im Bereich des Üblichen an monatlichen Zuwendungen an Enkel liegt. Nach dem maßgeblich die Gepflogenheiten sozial Gleichgestellter sind, ist im vorliegenden Einzelfall davon auszugehen, dass das Ausbleiben der monatlichen Zuwendung für den Großvater ein Ansehensverlust in seinem sozialen Umfeld bedeutet hätte. Soweit trotz uneingeschränkter finanzieller Möglichkeiten ein übliches Taschengeld nicht zugewandt worden wäre, wäre dies im vorliegenden Fall geeignet gewesen, im Bekanntenkreis des Großvaters ein schlechtes Licht auf diesen zu werfen.

Dass die Beklagte das Geld nicht unmittelbar ausgegeben, sondern gespart hat, so dass im Laufe der 16 Jahre eine nicht geringe Summe zusammengekommen ist, lässt nicht darauf schließen, dass es sich nicht um ein monatliches Taschengeld handelte, sondern um eine Art Sparvertrag. Es war der Beklagten freigestellt, über ihr Geld zu verfügen.

Praxishinweis

1. Der Anspruch auf Herausgabe einer Schenkung kann nun innerhalb von 10 Jahren geltend gemacht werden, § 529 Abs. 1 BGB. Mit seinen monatlichen Taschengeldzahlungen hat der Großvater auf seine Weise einen Beitrag zu mehr Generationengerechtigkeit geleistet (dazu jüngst Schlegel, NZS 2017, 241) und insoweit auf Konsum verzichtet. Kommt es dann für die Einrede der „Anstandsschenkung“ wirklich auf eine nähere Prüfung darüber an, welches die Gepflogenheiten sind, die den „sozialen Kreisen“ des Schenkers eigen sind? Einer Enkeltochter das Taschengeld nun streitig zu machen, das sie angespart hat, ist, bei allem Respekt vor dem Prinzip der Subsidiarität der Sozialhilfe (§ 2 SGB XII), unsozial und das falsche Signal an die nachwachsende und für die Versorgung verantwortliche Generation!

2. Hätte der Großvater die Beträge von 50 EUR pro Monat in eine Lebensversicherung eingezahlt, um der Enkeltochter eine Ausbildung zu finanzieren, hätte das Sozialamt wahrscheinlich geprüft, ob sich in dieser Lebensversicherung ein Rückkaufswert angespart hat, der als Vermögen zu verwerten gewesen wäre.
Frei nach Hanns-Dieter Hüsch, ist der Kölner überhaupt zu allem unfähig. Er weiß nix, kann aber alles erklären.
Deshalb kann von mir keine Rechtsberatung erfolgen, auch nicht per e-mail oder PN.
Olivia
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Re: LG Aachen - 3 S 127/16 - Rückforderung von Geschenken bei Pflege

#2

Beitrag von Olivia »

Sprich, das Sozialamt will die Schenkungen von monatlich 51 € auf die Grundsicherungsleistung anrechnen. Richtig?
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tigerlaw
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Re: LG Aachen - 3 S 127/16 - Rückforderung von Geschenken bei Pflege

#3

Beitrag von tigerlaw »

Nein, Olli, das ist kein "anzurechnenden Einkommen", sondern "anzurechnendes Vermögen". Für solche Rückforderungen wird vor den "ordentlichen" Gerichten prozessiert, auch wen (wie hier) Klägerin die Stadt (Sozialamt) war, die den ANspruch auf sich "übergeleitet" hatte.

Du kennst vielleicht den Kinderspruch "Geschenkt und wie4derholen ist gestohlen". Dieser Grundsatz wird aber aufgeweicht für den Fall, dass der Schenker später einmal so "arm" wird, dass er seinen eigenen (und den der Familie) "angemessenen Unterhalt" nicht mehr aus eigenem Einkommen oder Vermögen aufbringen kann. Diese Situiation tritt häufig ein (so auch hier), wenn man pflegebedürftig wird, denn die Pflegeversicherung leistet nur einen Zuschuss zu den Kosten, der Rest verbleibt bei einem selber (und ggf. bei der Sozialhilfe).

In einem solchen Fall kann der Schenker das Geschenk zurückverlangen (§ 528 BGB), aber nur unter Einschränkungen: Zum einen nur innerhalb von 10 Jahren, und auch nur, wenn man das Geschenk zurückgeben kann, vgl. § 529 BGB.

"Anstandsschenkungen" unterliegen aber von Anfang an nicht der Rückforderungsmöglichkeit, vgl. § 534 BGB.

Und das war hier der Streitpunkt: DIe Richterin am Amtsgericht meinte, es sei keine ANstandsschenkung gewesen, die drei Richer am Landgericht waren anderer Ansicht. Beide Ansichten sind "vertretbar"; hier hat die Enkelin Glück gehabt, dass das Landgericht als letzte Instanz ihr recht gegeben hat.
Ich darf sogar beraten - bei Bedarf bitte PN!
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Re: LG Aachen - 3 S 127/16 - Rückforderung von Geschenken bei Pflege

#4

Beitrag von Olivia »

Tigerlaw, vielen Dank für die Erklärung! :Daumenhoch:

(Man wäre also gut beraten, im Zweifelsfall bei einer Schenkung/einer Schenkung auf Raten diese a) entweder alsbald zu verbrauchen, denn dann kann die Schenkung bei einer etwaigen Rückforderung nicht mehr zurückgegeben werden, oder b) die Schenkung für den 10-Jahres-Zeitraum ähnlich wie eine in der Zukunft fällige Steuerschuld auf einem Festgeldkonto anzulegen und erst nach Ablauf der 10 Jahre regulär ins eigene Vermögen "einzubuchen". Aber wer macht das schon.)
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tigerlaw
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Re: LG Aachen - 3 S 127/16 - Rückforderung von Geschenken bei Pflege

#5

Beitrag von tigerlaw »

Nö, der frühere Schenker hat den Anspruch auf Rückgabe des Geschenks, Ende Gelände. Wie der Beschenkte das dann bewerkstelligt, sit sein Bier. Und wenn er es nicht zurückgibt/zurckzahlt, dann kommt halt der Gerichtsvolizieher.
Ich darf sogar beraten - bei Bedarf bitte PN!
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Günter
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Re: LG Aachen - 3 S 127/16 - Rückforderung von Geschenken bei Pflege

#6

Beitrag von Günter »

Der Staat läßt sich von den sogenannten Leistungsträgern um Steuerzahlungen in Milliardenhöhe bescheißen, versucht aber den kleinen Leuten die Taschen und die Konten zu leeren.

Wenn es sich wie im Falle Schlecker um Millionen handelt, die in der Familie verschoben werden, dann verstünde ich dies, aber wenn der Opa der Enkelin monatlich 50 € aus welchen Gründen auch immer geschenkt hat, dann werden die gierigen Krallen ausgefahren. Das Pack sollte sich in Grund und Boden schämen.
Warnhinweis: Einige meiner Beiträge können Spuren von Ironie enthalten.

Ich könnte freundlich, aber wozu? :6:
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