LSG Hessen L 7 AS 413/09 Antrag mit Verfallsdatum

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kleinchaos
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LSG Hessen L 7 AS 413/09 Antrag mit Verfallsdatum

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Beitrag von kleinchaos »

1. Instanz Sozialgericht Frankfurt S 33 AS 1252/06 19.06.2009
2. Instanz Hessisches Landessozialgericht L 7 AS 413/09 18.12.2009
3. Instanz
Sachgebiet Grundsicherung für Arbeitssuchende
Entscheidung I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 19. Juni 2009 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander für das Klage- und Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum vom 1. Januar 2006 bis 12. Februar 2006.

Der 1943 geborene Kläger bezieht aufgrund seines Antrages vom 20. Dezember 2004 seit dem 1. Januar 2005 von dem Beklagten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Zuvor hatte er Arbeitslosenhilfe (Alhi) seitens der Agentur für Arbeit unter erleichterten Bedingungen bezogen. Auf seinen Antrag vom 20. Dezember 2004 bewilligte zunächst die Agentur für Arbeit A-Stadt die Leistungen für den Zeitraum vom 1. Januar 2005 bis 30. Juni 2005.

Durch Bescheid vom 23. Mai 2005 bewilligte der Beklagte im Anschluss daran dem Kläger Grundsicherungsleistungen in Höhe von monatlich 703,44 EUR für den Zeitraum vom 1. Juli 2005 bis 31. Dezember 2005. Dieser Bescheid enthält u. a. folgenden schreibtechnisch herausgehobenen Hinweis: "Sollten Sie über das Ende des Gewährungszeitraumes hinaus weiterhin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II benötigen, bitten wir Sie, rechtzeitig (ca. 4 Wochen) vor Ablauf des Gewährungszeitraumes, die Weitergewährung der Leistungen zu beantragen".

Ausweislich der Verwaltungsakte des Beklagten wies dieser die Leistungen auf Wunsch des Klägers, der kein eigenes Girokonto hatte, dem Konto seiner von ihm getrennt lebenden Ehefrau an, die – nach Vortrag des Klägers – sodann die Unterkunftskosten beglich und ihm den Restbetrag in bar auszahlte.

Nachdem der Kläger Ende Januar 2006 keine Leistungen für den genannten Monat erhalten hatte, stellte er mit am 30. Januar 2006 unterschriebenem Formular – bei dem Beklagten eingegangen am 13. Februar 2006 – einen Antrag auf Weiterbewilligung, woraufhin der Beklagte mit Bescheid vom 15. Februar 2006 die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ab dem 13. Februar 2006 bis 31. Juli 2006 bewilligte.

Den hiergegen vom Kläger am 15. März 2006 erhobenen und nach Erlass der Änderungsbescheide des Beklagten vom 20. und 21. Juni bzw. 2. August 2006 nur noch bezüglich des Beginns der Leistungen zum 1. Januar 2006 aufrecht erhaltenen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 15. November 2006 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er aus, der Kläger habe nach Ablauf des Bewilligungszeitraums am 31. Dezember 2005 spätestens an jenem Tage einen Folgeantrag stellen müssen. Dies habe er aufgrund des Hinweises im Bewilligungsbescheid vom 23. Mai 2005 auch gewusst. Er könne daher Leistungen für den Zeitraum vom 1. Januar 2006 bis 12. Februar 2006 nicht beanspruchen. Dies ergebe sich aus dem Antragserfordernis des § 37 SGB II. Danach habe der Antrag erhebliche verfahrensrechtliche Bedeutung, so dass ein verspäteter Antrag einen begrenzten Rechtsverlust bewirke. Ohne Antragstellung sei der Leistungsträger schließlich weder verpflichtet noch berechtigt, tätig zu werden.

Mit der hierauf am 19. Dezember 2006 bei dem Sozialgericht Frankfurt am Main eingegangenen Klage begehrt der Kläger über die bewilligten Leistungen hinaus auch Leistungen für den Zeitraum vom 1. Januar 2006 bis zum 12. Februar 2006. Er habe seinerzeit den Fortzahlungsantrag erst gestellt, nachdem er bemerkt habe, dass Ende Januar 2006 keine Leistungen überwiesen worden seien. Den Hinweis in dem Bescheid vom 23. Mai 2005 habe er übersehen. Er habe nämlich nicht mit einem solchen Hinweis, sondern damit gerechnet, dass er die Formulare zur Weitergewährung zugesandt erhalte, wie dies bei der Gewährung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) üblich gewesen sei. Zwar schreibe § 37 Abs. 1 SGB II eine Antragstellung zwingend vor; ein vor dem Fortzahlungsantrag gestellter Antrag verliere jedoch nach Ablauf eines Bewilligungsabschnittes nicht seine Wirkung, weshalb eine Antragstellung solange fortwirke, wie die Hilfebedürftigkeit andauere. Diesbezüglich berufe er sich auf den vorgelegten Beschluss des Hessischen Landessozialgerichts vom 25. Juli 2006 (Az.: L 9 AS 83/06 ER).

Demgegenüber verteidigt der Beklagte seine Auffassung, dass Leistungen nach dem SGB II gemäß § 37 SGB II immer nur ab Antragstellung erbracht werden dürfen, nicht jedoch für davorliegende Zeiträume. Der Kläger sei in dem Bewilligungsbescheid vom 23. Mai 2005 ausdrücklich auf die Notwendigkeit eines Folgeantrages hingewiesen worden.

Mit Urteil vom 19. Juni 2009 hat das Sozialgericht Frankfurt am Main den Beklagten verurteilt, unter Abänderung des Bescheides vom 15. Februar 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. November 2006 (richtig: 15. November 2006), dem Kläger Leistungen nach dem SGB II in gesetzlichem Umfang auch für den Zeitraum vom 1. Januar 2006 bis 12. Februar 2006 zu gewähren. Die Tatsache, dass der Fortzahlungsantrag erst am 13. Februar 2006 bei dem Beklagten eingegangen sei, stehe der Leistungsbewilligung für den dazwischen liegenden streitigen Zeitraum vom 1. Januar bis 12. Februar 2006 nicht entgegen. Die Kammer folge insoweit der von dem Hessischen Landessozialgericht im Beschluss vom 25. Juli 2006 – L 9 AS 83/06 ER – unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Arbeitslosenhilfe (Urteil vom 29. Januar 2001 – B 7 AL 16/00 R – BSGE 87, 262 m. w. N.) vertretenen Auffassung, wonach der ursprüngliche Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II nach Ablauf eines Bewilligungszeitraumes seine Wirkung nicht verliere, solange die Hilfebedürftigkeit andauere. Für den vorliegenden Fall bedeute dies, dass der ursprüngliche Leistungsantrag des Klägers vom 20. Dezember 2004 bezüglich der Erfüllung des Antragserfordernisses nach § 37 SGB II auch für den Weiterbewilligungszeitraum fortgelte. Selbst unter Berücksichtigung des Argumentes, dass es sich bei dem Antragserfordernis bei der Alhi um eine materiell-rechtliche Voraussetzung gehandelt habe, halte die Kammer die Konsequenz, dass der Hilfebedürftige mangels Fortwirkung eines ursprünglichen Leistungsantrags seinen Leistungsanspruch nach Ablauf eines Bewilligungszeitraums zur Gänze verliere, solange er keinen erneuten Antrag gestellt habe, für nicht gerechtfertigt. Denn gerade weil das Antragserfordernis bei der Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II nicht als materiell-rechtliche Voraussetzung ausgestaltet sei, liege nahe, die Rechtswirkungen eines Leistungsantrages, der zur Bewilligung einer Leistung geführt habe, die im Wesentlichen Hilfebedürftigkeit voraussetze, als fortbestehend anzusehen, solange insoweit keine auch nur vorübergehende Änderung eintrete. Im Recht der Alhi, für welches das Bundessozialgericht die Fortwirkung entwickelt habe, sei der Bewilligungszeitraum als "Bewilligungsabschnitt" vom Gesetz weitgehend vorgegeben gewesen. Eine solche Vorgabe mache das SGB II dem Leistungsträger demgegenüber nicht. Vielmehr habe dieser nach § 41 Abs. 1 Satz 5 SGB II sogar ausdrücklich die Möglichkeit, den Bewilligungszeitraum nach den individuellen Verhältnissen des Einzelfalles zu verlängern oder zu verkürzen, wovon nach den Erkenntnissen der Kammer in der Praxis auch Gebrauch gemacht werde. Es sei somit jederzeit möglich, dass einem Hilfebedürftigen SGB II-Leistungen für einen Zeitraum von einem Jahr bewilligt werden könnten, wenn eine Veränderung insoweit nicht zu erwarten wäre, der Hilfebedürftige aber – sofern die Leistungen gleichwohl lediglich für 6 Monate bewilligt würden – gehalten wäre, einen Weiterbewilligungsantrag zu stellen, mit der Gefahr des (teilweisen) Verlustes des Leistungsanspruchs bei verspäteter Antragstellung, selbst wenn eine Veränderung der übrigen Voraussetzungen, insbesondere der Hilfebedürftigkeit nicht eingetreten wäre. Hinzu komme in Fällen, wie dem Vorliegenden, dass Hilfebedürftige – im Gegensatz zur früheren Verfahrensweise bei der Gewährung von Alhi durch die zeitnahe Versendung von entsprechenden Antragsformularen zur Weiterbewilligung – von dem Beklagten auf den Ablauf der Bewilligung und das Erfordernis eines Bewilligungsantrages nicht mehr zeitnah hingewiesen würden. Hierin liege nach Auffassung der Kammer eine Verletzung der Beratungspflicht des Beklagten im Sinne des § 14 des Ersten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB I).

Gegen das ihm am 16. Juli 2009 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 14. August 2009 Berufung eingelegt. Unter Verweis auf neuere Entscheidungen des LSG Nordrhein-Westfalen (vom 17. April 2008, L 9 AS 69/07), des SG Reutlingen (vom 3. März 2009, S 2 AS 4577/08 sowie vom 17. März 2008, S 12 AS 2203/06) sowie des LSG Berlin-Brandenburg (vom 13. März 2009, L 14 B 2368/08 AS PKH) hält der Beklagte an seinem bisherigen Vortrag, wonach ein früher gestellter Antrag über den Ablauf des Bewilligungszeitraumes hinaus keine Wirkung entfalte, weiterhin fest.

Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 19. Juni 2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Die Ausführungen des erstinstanzlichen Urteils hielten einer Überprüfung stand. Zudem habe ihm der Beklagte selbst nach Auslaufen des Bewilligungsabschnittes vom 1. Januar 2005 bis 30. Juni 2005 für den Folgezeitraum vom 1. Juli 2005 bis 31. Dezember 2005 ohne erneute Antragstellung Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes gewährt. Mit diesem Verhalten habe der Beklagte sein Vertrauen in die bisherige Funktionsweise des Bezugs der Arbeitslosenhilfe gestärkt. Aufgrund der Weiterbewilligung ab Juli 2005 habe er daher davon ausgehen können, dass er die Formalitäten mit seiner erstmaligen Antragstellung erfüllt habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie dem Vorbringen der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Leistungsakte des Beklagten, der Inhalt der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig und begründet. Das Sozialgericht hat den Beklagten zu Unrecht verurteilt, dem erwerbsfähigen und nach § 9 SGB II hilfebedürftigen Kläger auch für den Zeitraum vom 1. Januar 2006 bis 12. Februar 2006 Leistungen nach dem SGB II zu erbringen. Denn der Bescheid des Beklagten vom 15. Februar 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. November 2006 ist rechtmäßig. Der Kläger hat – wie der Beklagte zutreffend festgestellt hat – keinen Anspruch auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II auch für die Zeit vom 1. Januar bis 12. Februar 2006. Allein die Leistungsgewährung für diesen Zeitraum steht vorliegend noch im Streit. Denn nur insoweit hatte der Kläger seinen Widerspruch gegen den Bescheid des Beklagten vom 15. Februar 2006 – der in der Folgezeit wegen der Berücksichtigung von erzieltem Einkommen durch die damit gemäß § 86 Sozialgerichtsgesetz formell zum Gegenstand des Widerspruchsverfahrens gewordenen Bescheide vom 20. Juni, 21. Juni und 2. August 2006 geändert wurde – noch aufrecht erhalten.

Entsprechend der gesetzlichen Vorgabe in § 37 Abs. 1 SGB II werden Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende auf Antrag erbracht. Sie werden – mit Ausnahme mangelnder Dienstbereitschaft des zuständigen Leistungsträgers (§ 37 Abs. 2 Satz 2 SGB II) – nach der ausdrücklichen Bestimmung des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB II nicht für Zeiten vor der Antragstellung erbracht. Vor diesem Hintergrund ist das Datum der Antragstellung für den Beginn der Leistungserbringung entscheidend. Zur Überzeugung des Senats gilt dies auch für Folgeanträge auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II.

(a) Zur Frage, wann ein Antrag erneut gestellt werden muss bzw. wann die Wirkungen eines wirksam gestellten Antrags erlöschen, enthält das SGB II keine Regelung. Folglich bleibt es bei dem allgemeinen Grundsatz des § 39 Abs. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X), dass ein verfahrensrechtlicher Antrag fortwirkt und wirksam bleibt, solange die Bewilligungsentscheidung nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 17. April 2008, L 9 AS 69/07, juris-Rdn. 27 mit Verweis auf Link, in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Auflage 2008, Rdn. 19 zu § 37 SGB II). Bei Folgeanträgen kommt dem auf eine Leistungsgewährung nach dem SGB II gerichteten Antrag somit nur bis zu dem Zeitpunkt Wirkung zu, zu dem die Wirkung der auf diesen Antrag erfolgten Bewilligungsentscheidung endet. Ein Hilfebedürftiger, der Leistungen nach dem SGB II begehrt, ist daher gehalten, für die Folgezeit jeweils einen Weiterbewilligungsantrag gemäß § 37 SGB II zu stellen, um dem Leistungsträger auch eine Entscheidung über die weitere Leistungsbewilligung zu ermöglichen. Da es für die Hilfegewährung insbesondere auf die aktuelle Hilfebedürftigkeit und die aktuelle Zusammensetzung der Bedarfsgemeinschaft ankommt, ist davon auszugehen, dass nach Ablauf des Bewilligungsabschnitts die Wirkung des ursprünglichen Antrags erlischt, mithin ein neuer Fortzahlungs-Antrag notwendig ist (Link, a.a.O., Wagner, in: jurisPK – SGB II, 2. Auflage, § 37 Rdn. 22, ebenso LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16. März 2009, L 29 AS 162/09 B, juris-Rdn. 4). Daher ist es insoweit auch ohne Bedeutung, ob dem Leistungsträger die fortbestehende Bedürftigkeit des Leistungsempfängers bekannt ist (so auch LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 17. April 2009, L 19 B 63/09 AS, juris-Rdn. 5).

(b) Die für die gegenteilige Auffassung angeführten Argumente überzeugen im Ergebnis nicht.

Dies gilt zunächst für die Ansicht, dass die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Fortwirkung eines Antrags auf Arbeitslosenhilfe (BSG, Urteil vom 29. Januar 2001, B 7 AL 16/00 R, in juris; BSG, Urteil vom 29. November 1990, 7 RAr 6/90, in juris; BSG, Urteil vom 12. Dezember 1985, 7 RAr 75/84, in juris; ferner BSG, Urteil vom 14. November 1985, 7 RAr 123/84, in juris) auf das SGB II zu übertragen sei. Diese Ansicht verkennt, dass sich die Gesetzeslage des SGB II gegenüber den für die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe maßgebenden früheren Vorschriften wesentlich unterscheidet. Während in § 134 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) der Antrag materielle Anspruchsvoraussetzung war (BSG, Urteil vom 29. November 1990, a.a.O.; Ebsen, in: Gagel, AFG, § 134 [1998] Rdn. 68), handelt es sich bei dem Antragserfordernis in § 37 SGB II nicht um eine materiell-rechtliche Anspruchsvoraussetzung (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 11. März 2008, L 7 AS 143/07, FEVS 60 [2009], S. 127 [128]; Frank, in: Hohm, Gemeinschaftskommentar zum SGB II, § 37 [2008] Rdn. 5; Link, in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. 2008, § 37 Rdn. 17; Müller, in: Hauck/Noftz, SGB II, § 37 [2004] Rdn. 5), sondern nur um eine Verfahrensvoraussetzung; das Antragserfordernis ist gerade nicht bei den anspruchsbegründenden materiellen Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 und Abs. 2 SGB II aufgeführt (Link, in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. 2008, § 37 Rdn. 17; siehe auch Frank, in: Hohm, Gemeinschaftskommentar zum SGB II, § 37 [2008] Rdn. 5; Müller, in: Hauck/Noftz, SGB II, § 37 [2004] Rdn. 5). Die Entstehung eines Anspruches auf Arbeitslosenhilfe war hingegen auch materiell von einer Antragstellung abhängig (BSG, Urteil vom 29. November 1990, a.a.O.; Ebsen, in: Gagel, AFG, § 134 [1998] Rdn. 68; ebenso für den Anspruch auf Arbeitslosengeld nach § 100 Abs. 1 AFG, BSG, Urteil vom 29. Juni 2000, B 11 AL 99/99 R, juris-Rdn. 14; siehe auch Frank, in: Hohm, Gemeinschaftskommentar zum SGB II, § 37 [2008] Rdn. 5). Erschöpft sich der Antrag aber in seiner verfahrensrechtlichen Funktion, ist seine Wirkung mit Abschluss des Verwaltungsverfahrens beendet; er kann – anders als materielle Voraussetzungen – nicht weiterwirken.

Zudem sollen nach der Konzeption des SGB II auf einen Leistungsantrag hin nicht mehrere Bewilligungsentscheidungen über zeitlich nicht näher eingegrenzte Bewilligungszeiträume ergehen. Dies ergibt sich schon aus § 41 Abs. 1 Satz 4 SGB II, wonach Leistungen jeweils für sechs Monate bewilligt und monatlich im Voraus erbracht werden sollen. Auch der Rechtsprechung des BSG (vgl. nur Urteil vom 7. November 2006, B 7b AS 14/06 R, in juris), wonach Bewilligungsbescheide für Folgezeiträume nicht in analoger Anwendung des § 96 SGG Gegenstand bereits laufender Klageverfahren werden, ist zu entnehmen, dass der Antrag auf Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II mit dem darauf ergehenden zeitlich befristeten Bewilligungsbescheid und dem Ablauf des Bewilligungszeitraumes seine Wirkung verloren hat (so auch LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 17. April 2008, a.a.O., Rdn. 28). Insoweit hat das BSG schon in seiner Entscheidung vom 7. November 2006 wörtlich ausgeführt: "Die für diese Rechtsprechung herangezogenen Gesichtspunkte der Prozessökonomie überzeugen im Rahmen des SGB II nicht. Die Leistungen des SGB II werden regelmäßig für kürzere Zeiträume bewilligt als nach dem Sozialgesetzbuch Drittes Buch - Arbeitsförderung - (SGB III). Zudem müssen die Leistungsträger des SGB II nicht nur Änderungen bei der Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen Rechnung tragen, sondern sie müssen diese auch bei der Ermittlung des normativen Bedarfs beachten, sodass Folgebescheide häufiger als im Arbeitsförderungsrecht neue, gegenüber dem Ausgangsbescheid besondere Tat- und Rechtsfragen aufwerfen. Schließlich ergehen im Rahmen des SGB II die Bewilligungsbescheide häufig nicht nur für eine einzige Person, sondern für mehrere Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft. Unter Berücksichtigung all dieser besonderen Umstände ist eine analoge Anwendung des § 96 Abs 1 SGG auf Bewilligungsbescheide für Folgezeiträume im Rahmen des SGB II grundsätzlich nicht gerechtfertigt."

Auch die von dem Sozialgericht zur weiteren Begründung seiner Rechtsansicht angesprochene Gefahr bei der Bewilligung von Leistungen für den Zeitraum von einem Jahr (vgl. § 41 Abs. 1 Satz 5 SGB II) ist diesseits nicht erkennbar. Nutzt die Behörde die vom Gesetzgeber eingeräumte Möglichkeit der Verlängerung des Bewilligungszeitraumes auf bis zu zwölf Monate aus, so kann sie nicht schon nach sechs Monaten einen mit der Gefahr des (teilweisen) Verlustes des Leistungsanspruchs bei verspäteter Antragstellung verbundenen Fortzahlungsantrag verlangen. Denn insoweit ist der Antrag erst mit Ablauf des ggf. auf zwölf Monate verlängerten Bewilligungszeitraumes erloschen. Einen entsprechenden Fortzahlungsantrag wird man in diesen Fällen somit erst zum Ablauf des verlängerten Bewilligungszeitraumes fordern können.

Nach alledem kann folglich auch der Auffassung des 9. Senats des Hessischen Landessozialgerichts in dem im Rahmen eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens ergangenen Beschluss vom 25. Juli 2006 (L 9 AS 83/06 ER) nicht gefolgt werden. Die darin vertretene Auffassung in Bezug auf das Fortwirken eines Antrages wird nicht näher begründet. Soweit auf die Auffassung von Link, in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 1. Auflage 2005, § 37 Rdn. 19 verwiesen wird, bleibt festzuhalten, dass dieser bereits in der aktuellen 2. Auflage 2008 nicht mehr an dieser zunächst vertretenen Auffassung festhält; gleiches gilt für die vom 9. Senat in Bezug genommenen Durchführungshinweise der Bundesagentur für Arbeit für die Anwendung des SGB II. Auch dort wird zwischenzeitlich (vgl. Ziffer 37.3) – anders noch als in 2006 – auch für jede Folgebewilligung ein neuer Antrag gefordert.

Wird somit ein Antrag, auch ein Folgeantrag, auf Leistungen nach dem SGB II nicht rechtzeitig gestellt, führt dies zu einem begrenzten Rechtsverlust, weil Leistungen nicht rückwirkend erbracht werden (Link, a.a.O., Rdn. 17), sondern gemäß § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB II erst ab dem Tag der Antragstellung. Dies ist vorliegend, wie der Beklagte zu Recht festgestellt hat, der 13. Februar 2006. Ein Zugang des mit Datum vom 30. Januar 2006 vom Kläger unterschriebenen Weiterbewilligungsantrages vor dem 13. Februar 2006 bei dem Beklagten ist nicht festzustellen und wird auch nicht behauptet. Insoweit kann der Kläger auch nicht damit gehört werden, dem Beklagten sei schon vor dem 13. Februar 2006 bekannt gewesen, dass weiterhin über den 31. Dezember 2005 hinaus Hilfebedürftigkeit des Klägers bestehen würde. Die gerade für die Beurteilung dieser Hilfebedürftigkeit maßgebliche Erklärung wurde erst am 13. Februar 2006 dem Beklagten vorgelegt. Erst von diesem Zeitpunkt an war die Frage der weiteren Hilfebedürftigkeit von dem Beklagten rechtssicher zu beantworten.

Soweit das BSG für den Antrag auf Leistungen nach dem bis 31. Dezember 2004 geltenden Gesetz über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (Grundsicherungsgesetz ( GSiG )) entschieden hat, für einen weiteren Bewilligungszeitraum einen Folgeantrag für entbehrlich zu halten (Urteil vom 29. September 2009 - B 8 SO 13/08 R, in juris), bleibt das für die Beurteilung des Antragserfordernisses nach § 37 SGB II ohne Bedeutung. Die Auslegung des BSG ist erkennbar von Besonderheiten des Antragserfordernisses nach §§ 1, 6 GSiG getragen. Der Antrag sollte dort alleine den Wechsel des Leistungssystems von der Sozialhilfe zur Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung - mit vor allem beschränktem Rückgriff auf unterhaltsverpflichtete Angehörige - von einem ausdrücklichen Wunsch des Berechtigten in Form eines Antrags abhängig machen, ohne im Übrigen gegenüber der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG die Leistungsgewährung durch ein gesteigertes Antragserfordernis zu erschweren (BSG, a.a.O.). Ein solcher Regelungszweck und unmittelbarer Zusammenhang zur sozialhilferechtlichen Hilfe zum Lebensunterhalt besteht für das Antragserfordernis nach § 37 SGB II gerade nicht.

Dem Kläger ist auch nicht Wiedereinsetzung in die versäumte Antragsfrist gemäß § 27 SGB X zu gewähren. Diese Vorschrift ist bereits deshalb nicht anwendbar, weil es sich bei dem Antragserfordernis nach § 37 SGB II nicht um eine gesetzliche Frist im Sinne von § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB X handelt (Link, a.a.O., Rdn. 33a).

Ebenso wenig ist der Kläger im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu stellen, als hätte er den Fortzahlungsantrag rechtzeitig gestellt. Anerkannt ist insoweit, dass der Leistungsträger den Hilfebedürftigen rechtzeitig darauf hinzuweisen hat, dass er nach Ablauf des Bewilligungsabschnitts einen Folgeantrag auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II zu stellen hat (Link, a.a.O., Rdn. 19). Dabei ist dieser Antrag nach § 37 SGB II grundsätzlich an keine Form gebunden. Der Antrag kann mithin schriftlich, mündlich oder fernmündlich gestellt werden. Es besteht insoweit auch keine Pflicht, bestimmte Antragsvordrucke zu benutzen (Link, a.a.O., Rdn. 20). Ob dem der Beklagte mit seinem schreibtechnisch herausgehobenen Hinweis in dem Bescheid vom 23. Mai 2005 (Seite 2) in hinreichender Weise nachgekommen ist, braucht vorliegend nicht geklärt zu werden, weil der Kläger den Hinweis ohnehin vorwerfbar nicht zur Kenntnis genommen hat. Eine etwaige Verletzung der Beratungspflicht kann folglich schon nicht kausal für das weitere Verhalten des Klägers gewesen sein.

Dabei kann der Kläger auch nicht mit dem Vortrag gehört werden, diesen Hinweis nicht gesehen zu haben. Insoweit obliegt es nämlich den Bescheidadressaten, den Inhalt der an sie gerichteten Bescheide sorgfältig und vollständig zu lesen. Es kann zudem nicht Aufgabe eines Leistungsträgers sein, bei jedem Empfänger eines Leistungsbescheides nachzufragen, ob die darin gegebenen Hinweise letztlich von diesem alle gelesen und verstanden wurden. Im Gegenteil wäre es Aufgabe des Klägers gewesen, bei – trotz dieses eindeutigen Hinweises – noch verbliebenen Unklarheiten, diese bis zum Ablauf des Bewilligungszeitraumes am 31. Dezember 2005 durch eine einfache Nachfrage bei dem Beklagten zu klären. Mithin hat der Beklagte auch mit der Bewilligung von Leistungen für den vorangegangenen Leistungszeitraum vom 1. Juli 2005 bis 31. Dezember 2005 durch den Bescheid vom 23. Mai 2005, auch ohne vorherigen Fortzahlungsantrag des Klägers, keinen Vertrauenstatbestand geschaffen. Vielmehr durfte der Kläger – aufgrund des eindeutigen Hinweises in diesem Bescheid – für die Zukunft gerade nicht mehr von einer solchen Verfahrensweise ausgehen. Für den vorangegangenen Zeitraum jedoch ist der Beklagte auch deshalb ohne Folgeantrag tätig geworden, da die Agentur für Arbeit A-Stadt in dem davor ergangenen Bescheid vom 23. Dezember 2004 den Kläger noch nicht auf die Notwendigkeit eines Folgeantrages hingewiesen hatte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

Der Senat hat im Hinblick auf die höchstrichterlich noch nicht geklärte Rechtsfrage, ob § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB II auch für Folgeanträge gilt, gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG die Revision zugelassen.
http://www.sozialgerichtsbarkeit.de/sgb ... sensitive=
"Freiheit nur für die Anhänger der Regierung, nur für Mitglieder einer Partei - mögen sie noch so zahlreich sein - ist keine Freiheit. Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden." Rosa Luxemburg
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