SG Detmold, S 4 AL 633/14, Praktikum ggf. unschädlich für..

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tigerlaw
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SG Detmold, S 4 AL 633/14, Praktikum ggf. unschädlich für..

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Beitrag von tigerlaw »

ALG I, Gerichtsbescheid vom 24.07.2015

User "Zahnfee" hat einen Gerichtsbescheid erstritten, der gut herausarbeitet, welche Umstände vorliegen müssen, damit eine "Arbeitslosigkeit" und damit der Bezug von ALG I entfallen.

Sie hatte ein achttägiges Praktikum in einer Rettungsdienstwache absolviert, das sie erforderlichenfalls jederzeit hätte abbrechen können. Der Kreis als Träger der Rettungswache hatte sie in der Renten- und ARbeitslosenversicherung angemeldet, nicht aber in der Kranken- und Pflegeversicherung. Näheres dazu im Faden http://www.alg-ratgeber.de/post341260.html#p341260


Die Begründung für die Entscheidung, die Aufhebungs- und Erstattungsbescheide aufzuheben, lautet:
(...)
Die Klägerin war während des von ihr abgeleisteten Praktikums weiter beschäftigungslos. ln einem Beschäftigungsverhältnis steht nur derjenige, der seine Arbeitskraft in persönlicher Abhängigkeit einem Dritten unterstellt. Um ein diesen Kriterien genügendes Beschäftigungsverhältnis
handelte es sich bei derTätigkeitder Klägerin für den Kreis H. nicht. Es handelte sich um ein freiwilliges und unentgeltliches Praktikum. Ein Praktikumsvertrag wurde nicht abgeschlossen. Einzelheiten wie täglicher Dienstbeginn/-ende, Wochenarbeitszeit etc. konnten zwischen Praktikant und Praxisanleiter der jeweiligen Rettungswache abgestimmt werden.

Das Praktikum diente nicht dazu, dass die Klägerin ihre Arbeitskraft zur Verfügung stellte. Es war eine ehrenamtliche Tätigkeit. Dass die Klägerin betriebliche Arbeitszeiten einzuhalten hatte (08:00- 16:00 Uhr nach Absprache) diente letztendlich dazu, um Störungen des Betriebsablaufes zu vermeiden. Die für ein Beschäftigungsverhältnis typische Weisungsunterworfenheit hinsichtlich Arbeitsleistung und deren Randbedingungen lässt
sich daraus nicht entnehmen.

Auch die Verfügbarkeit der Klägerin war durch die Ableistung des unentgeltlichen Praktikums nicht entfallen. Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BSG im Urteil vom 27.07.1989-11 RAr 7/88-, der des Hessischen LSG im Urteil vom 17.10.1990- L 6 Ar 338/90- sowie der des SG Frankfurt, Urteil vom 23.07.2004- S 33/32 AL 3090/02- geht das Gericht in vorliegendem Fall von der Verfügbarkeit der Klägerin während der Praktikumszeit aus. Hintergrund ist, dass unstreitig ein Arbeitsloser während seiner Arbeitslosigkeit nicht zur vollkommenen Untätigkeit verurteilt ist, sondern seine (~~~~~~), sportlichen und gesundheitlichen Interessen betätigen darf.

Das Praktikum dauerte eine gute Woche. Es war nicht auf längere Dauer angelegt, sondern kurzzeitig. Es war erkennbar darauf ausgelegt, beiden Seiten die jederzeitige Beendigung zu ermöglichen. Dementsprechend hat der Kreis H. in seiner Auskunft vom 14.04.2015 auch betont, dass die Klägerin ihr Erscheinen jederzeit und ohne negative Konsequenzen seitens des Kreises H. hätte beenden können. Es ist auch keinerlei faktische Bindung für die Klägerin erkennbar, die sich in anderen Fällen etwa aus einer bedeutenden Kurs- oder Studiengebühr oder aus einem besonderen Interesse, eine bereits fortgeschrittene Ausbildung zu einem Abschluss zu bringen oder gar mit einer formellen Qualifikation zu beenden, ergeben mag. Ziel der Klägerin war es, ihre Arbeitslosigkeit durch Aufnahme einer Arbeit (wie ab 01.06.2014 wieder als xxx geschehen) zu beenden oder die - letztendlich vom Rentenversicherungsträger abgelehnte - Umschulung zur Steuerfachgehilfin zu absolvieren. Die Klägerin beabsichtigte keine Umschulung zur Rettungssanitäterin. Dass 80 Stunden Praktikum für eine Gesamtausbildung zur Rettungshelferin NRW innerhalb eines Jahres erforderlich sind, ist insoweit unbeachtlich. Die Klägerin hätte die fehlenden Stunden jederzeit, z. B. während eines Urlaubs im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses, nachholen können.

Die Klägerin hat von Anfang an betont, dass sie tatsächlich jederzeit bereit gewesen wäre, das Praktikum abzubrechen, um ihren Obliegenheiten gegenüber der Beklagten zu genügen. Dies hat sie im Erörterungstermin noch einmal glaubhaft erklärt. Das Gericht hat keine Veranlassung, an der Richtigkeit zu zweifeln, so dass es die hohen Anforderungen an den Nachweis der Abbruchbereitschaft als erfüllt ansieht, gerade auch unter Berücksichtigung der Kurzzeitigkeit des Praktikums, des Fehlens einer persönlichen Ahhängigkeit und des weiteren tatsächlichen Verlaufs der Arbeitslosigkeit der Klägerin, d.h. insb. deren Beendiguhg durch baldige Aufnahme einer selbst gesuchten Beschäftigung (erneute Arbeit
als xxx bei ihrer alten Arbeitgeberin).

Da die Arbeitslosigkeit der Klägerin durch die Absolvierung des ehrenamtlichen unentgeltlichen Praktikums vom 13.01.2014-22.01.2014 beim Kreis H. nicht entfallen ist, ist auch ihre Arbeitslosmeldung vom 16.07.2013 nicht erloschen.

Die angefochtenen Bescheide sind nach allem rechtswidrig, weil weder die Beschäftiungslosiqkeit noch die Verfügbarkeit der Klägerin entfallen waren. Die Arbeitslosigkeit der Klägerin bestand in der Zeit vom 13.01.2014 - 27.02.2014 fort. Zu einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse ist es nicht gekommen. Die Aufhebungsentscheidung der Beklagten war daher ebenso aufzuheben wie die Erstattungsentscheidungen, denen es an einer Grundlage fehlte. Der Klage war mithin in vollem Umfang stattzugeben.
Ich gratuliere zum Erfolg! :bravo: :bravo:

:tiger:
Ich darf sogar beraten - bei Bedarf bitte PN!
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