SG Speyer - S 16 AS 1466/17 ER - Verfassungswidrigkeit des § 22 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 SGB II

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Koelsch
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SG Speyer - S 16 AS 1466/17 ER - Verfassungswidrigkeit des § 22 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 SGB II

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Beitrag von Koelsch »

§ 22 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 SGB II ist verfassungswidrig. Die Regelung verstößt gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG (Schutz der Menschenwürde) in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG (Sozialstaatsprinzip). Mit der Begrenzung der bei der Bedarfsberechnung zu berücksichtigenden Unterkunftskosten auf die "angemessenen" Aufwendungen in § 22 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 SGB II verstößt der Gesetzgeber gegen das verfassungsrechtliche Gebot, die für die Verwirklichung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums wesentlichen Regelungen hinreichend bestimmt selbst zu treffen (Anschluss an SG Mainz, Beschlüsse vom 12.12.2014 - S 3 AS 130/14 und S 3 AS 370/14).

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat über die Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 SGB II noch nicht entschieden. Mit Beschluss vom 06.10.2017 (1 BvL 2/15 und 1 BvL 5/15) wurden die Vorlagebeschlüsse des SG Mainz vom 12.12.2014 (S 3 AS 130/14 und S 3 AS 370/14) lediglich als unzulässig verworfen, da sie nach Auffassung des BVerfG nicht in jeder Hinsicht den Darlegungsanforderungen des § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG genügten (BVerfG, Beschluss vom 06.10.2017 - 1 BvL 2/15 -, Rn. 13). Mit dem Beschluss vom 10.10.2017 (1 BvR 617/14) wurde die dem Verfahren zu Grunde liegende Verfassungsbeschwerde durch die 2. Kammer des 1. Senats des BVerfG nicht zur Entscheidung angenommen. Soweit sich die Kammer in diesem Beschluss gleichwohl dahingehend äußert, dass sie die Regelung für verfassungsgemäß hält, vermag deren Argumentation nicht zu überzeugen.

An der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes sind Fachgerichte für den Fall, dass sie die angegriffene Regelung für verfassungswidrig erachten, nicht dadurch gehindert, dass sie über die Frage der Verfassungswidrigkeit nicht selbst entscheiden könnten, sondern insoweit die Entscheidung des BVerfG nach Art. 100 Abs. 1 GG einholen müssten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24.06.1992 - 1 BvR 1028/91 -, Rn. 29; SG Speyer, Beschluss vom 17.08.2017 - S 16 AS 908/17 ER -, Rn. 75).

Aufwendungen für Unterkunft und Heizung sind bei Mehrpersonenhaushalten den Personen als Bedarf zuzuordnen, die die Aufwendungen tatsächlich haben, d.h. die tatsächlich einer entsprechenden Forderung ausgesetzt sind. Für eine Aufteilung nach Kopfteilen besteht hingegen keine Rechtsgrundlage (Anschluss an SG Mainz, Vorlagebeschluss vom 12.12.2014 - S 3 AS 130/14 -, Rn. 289 ff. und SG Speyer, Beschluss vom 17.08.2017 - S 16 AS 908/17 ER -, Rn. 31 ff.; entgegen BSG, Urteil vom 23.11.2006 - B 11b AS 1/06 R -, Rn. 28 f.; Urteil vom 31.10.2007 - B 14/11b AS 7/07 R -, Rn. 19).

Die Vertretungsvermutung des § 38 Abs. 1 SGB II gilt nicht für den Fall der Bekanntgabe von Verwaltungsakten gegenüber dem Antragsteller (Fortführung von SG Speyer, Urteil vom 08.09.2017 - S 16 AS 729/16 -, Rn. 46 ff.).

Quelle: Juris


aus: Tacheles Rechtsprechungsticker - http://tacheles-sozialhilfe.de/startsei ... /d/n/2307/
Frei nach Hanns-Dieter Hüsch, ist der Kölner überhaupt zu allem unfähig. Er weiß nix, kann aber alles erklären.
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