S 121 AS 32195/09 ER - unabweisbaren Bedarf Abgrenzung

Antworten
Benutzeravatar
Emmaly
Benutzer
Beiträge: 4668
Registriert: Sa 4. Okt 2008, 21:12
Wohnort: Land Brandenburg

S 121 AS 32195/09 ER - unabweisbaren Bedarf Abgrenzung

#1

Beitrag von Emmaly »

http://www.gerichtsentscheidungen.berli ... true&bs=10
Gericht: SG Berlin 121. Kammer
Entscheidungsdatum: 08.10.2009
Aktenzeichen: S 121 AS 32195/09 ER
Dokumenttyp: Beschluss
Normen: § 22 Abs 5 S 1 SGB 2, § 22 Abs 5 S 2 SGB 2, § 23 Abs 1 S 1 SGB 2, § 41 Abs 1 S 4 SGB 2, § 2 Abs 1 S 1 SGB 2, § 19 Abs 2 S 2 StromGVV
Arbeitslosengeld II - Darlehen zur Sicherung der Unterkunft - Stromschulden - Abgrenzung des unabweisbaren Bedarfs nach § 23 SGB 2 von dem nach § 22 Abs 5 SGB 2 - Rechtfertigung der Schuldenübernahme - Selbsthilfegebot - einstweilige Verfügung gegen Unterbrechung der Energieversorgung
Leitsatz

1. Geldforderungen begründen nur solange einen "Bedarf" im Sinne des SGB 2 (insbesondere des § 23 Abs 1 S 1 SGB 2), wie sie im noch laufenden "Bedarfszeitraum" gemäß § 41 Abs 1 S 4 SGB 2 entstehen und fällig sind und vom Träger der Grundsicherung für Arbeitssuchende im Zeitpunkt des Erlasses des diesen Zeitraum betreffenden Bewilligungsbescheides noch nicht berücksichtigt werden konnten, weil sie dem Hilfsbedürftigen noch nicht bekannt waren. Geldforderungen hingegeben, die schon vorher entstanden und fällig waren, sind Schulden, die nur unter den Voraussetzungen des § 22 Abs 5 SGB 2 übernommen werden können.

2. Gerechtfertigt im Sinne des § 22 Abs 5 S 1, 2 SGB 2 ist die Übernahme von Stromschulden nur dann, wenn es dem Hilfebedürftigen nicht möglich und zuzumuten ist, die Notlage im Sinne des § 22 Abs 5 S 1 SGB 2 selbst, insbesondere durch die Inanspruchnahme des Energieversorgers im Wege des Erlasses einer einstweiligen Verfügung, zu beheben.

Tenor


1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

2. Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe


1 Der am 25. September 2009 beim Sozialgericht Berlin eingegangene Antrag des Antragstellers,

2 „den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, umgehend die Kosten für die Stromrückstände in Höhe von 2.938,67 € zuzüglich Wiedereinschaltungskosten zu übernehmen“,

3 ist sowohl unzulässig, als auch unbegründet.

4 Der Antrag ist entsprechend § 141 Abs. 1 SGG (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. 2008, § 86b Rn. 19a, § 141 Rn. 2, 6.) unzulässig, weil sein Gegenstand mit dem vom Antragsteller am 11. Juni 2009 erhobenen Antrag (S 171 AS …./.. ER) übereinstimmt, den das Sozialgericht Berlin mit Beschluss vom 2. Juli 2009 rechtskräftig abgelehnt hat.

5 Der Antrag ist zudem unbegründet, weil die in § 86b Abs. 2 S. 2 SGG aufgestellten Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht gegeben sind. Nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG ist der Erlass einer einstweiligen Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands nur zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das setzt voraus, dass sowohl ein Anordnungsanspruch, als auch ein Anordnungsgrund vom Antragsteller glaubhaft gemacht werden, vgl. § 86b Abs. 2 S. 4 SGG iVm § 920 Abs. 2 ZPO. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Denn es ist nicht überwiegend wahrscheinlich und damit glaubhaft (vgl. § 23 Abs. 1 S. 2 SGB X), dass dem Antragsteller ein Anordnungsanspruch zur Seite steht.

6 § 23 Abs. 1 S. 1 SGB II scheidet als Grundlage eines Anordnungsanspruches aus. Denn in Streit steht nicht die Deckung eines unabweisbaren „Bedarfs“, sondern die – in § 22 Abs. 5 SGB II spezialgesetzlich geregelte – Übernahme von „Schulden“. Dies ergibt sich aufgrund der Tatsache, dass der Antragsteller zwar einen unaufschiebbaren, mithin iSd § 23 Abs. 1 S. 1 SGB II „unabweisbaren“ (vgl. Münder, in: Münder, SGB II, 3. Aufl. 2009, § 23 Rn. 9.) Sachleistungsbedarf hat (nämlich an Strom in „Natur“), der Antragsgegner diesen Sachleistungsbedarf (obwohl er hierzu gemäß §§ 4 Abs. 1 Nr. 3, 23 Abs. 1 S. 1 SGB II rechtlich befugt wäre) jedoch nicht decken kann. Denn decken kann der Antragsgegner nur den Bedarf an Geld , das erforderlich ist, um Strom von einem Elektrizitätsversorgungsunternehmen iSd § 1 Abs. 3 Stromgrundversorgungsverordnung (StromGVV) zu beziehen.

7 Einen unabweisbaren Bedarf an Geld wiederum, das erforderlich ist, um Strom von einem Elektrizitätsversorgungsunternehmen zu beziehen, hat der Antragsteller nicht. Denn da die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II gleich den Leistungen des SGB XII (vgl. insoweit: BVerwGE 79, S. 46 [49].) der Deckung einer gegenwärtigen Notlage dienen, begründen Geldforderungen nur solange einen „Bedarf“ im Sinne des SGB II, wie sie im noch laufenden „Bedarfszeitraum“ gemäß § 41 Abs. 1 S. 4 SGB II entstehen und fällig sind und vom Träger der Grundsicherung für Arbeitssuchende im Zeitpunkt des Erlasses des diesen Zeitraum betreffenden Bewilligungsbescheides noch nicht berücksichtigt werden konnten, weil sie dem Hilfebedürftigen noch nicht bekannt waren (vgl. zum Recht der Sozialhilfe: BVerwGE 79, S. 46 [49, 50 f.].). Geldforderungen hingegen, die – wie hier – schon vorher entstanden und fällig waren, sind Schulden (vgl. BVerwGE 79, S. 46 [51]; vgl. dazu, wann Energiekostenrückstände „Schulden“ sind, auch: Berlit, in: Münder, SGB II. 3 Aufl. 2009, § 22 Rn. 126; Münder, in: Münder, SGB II, 3. Aufl. 2009, § 23 Rn. 8.), die nur unter den Voraussetzungen des § 22 Abs. 5 SGB II übernommen werden können.

8 Diese Voraussetzungen des § 22 Abs. 5 SGB II sind vorliegend nicht gegeben. Denn obgleich die faktische Unbewohnbarkeit einer Wohnung infolge einer Sperrung der Energie- oder Gaszufuhr eine „vergleichbare Notlage“ iSd § 22 Abs. 5 S. 1 SGB II begründet (Münder, SGB II, 3. Aufl. 2009, § 22 Rn. 125.), ist es nicht überwiegend wahrscheinlich, dass die Übernahme der Schulden, die der Antragsteller gegenüber der V.... E.. AG hat, iSd § 22 Abs. 5 S. 1 SGB II „gerechtfertigt“ ist. Denn „gerechtfertigt“ iSd § 22 Abs. 5 S. 1, 2 SGB II ist die Übernahme von Schulden nur dann, wenn der Hilfebedürftige nicht in der Lage ist, die „Notlage“ iSd § 22 Abs. 5 S. 1 SGB II selbst zu beheben (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 20. 11.2007, L 20 B 1361/07 AS ER.). Dies ist hier nicht der Fall. Denn dem Antragsteller ist es möglich und zuzumuten, die V... E… AG im Wege des Erlasses einer einstweiligen Verfügung in Anspruch zu nehmen (vgl. Gotzen, ZfF 2007, S. 248 [249]; ders., ZfF 2009, S. 106 [107]; Berlit, in: Münder, SGB II, 3. Aufl. 2009, § 22 Rn. 125.).

9 Dies ergibt sich aufgrund der Behauptung des Antragstellers, dass ihm infolge der Einstellung der Stromversorgung schwere gesundheitliche Schäden drohen. Denn da diese Behauptung mit Rücksicht auf das vom Antragsteller vorgelegte ärztliche Attest höchstwahrscheinlich wahr ist, hat ein auf den Erlass einer einstweiligen Verfügung gegenüber der V... E... AG gerichteter Antrag des Antragstellers aller Voraussicht nach Erfolg (vgl. Gotzen, ZfF 2007, S. 248 [250].). § 19 Abs. 2 S. 2 StromGVV nämlich bestimmt, dass der „Grundversorger“ nicht berechtigt ist, die Stromversorgung bei Nichterfüllung einer Zahlungsverpflichtung unterbrechen zu lassen, „wenn die Folgen der Unterbrechung außer Verhältnis zur Schwere der Zuwiderhandlung stehen“.

10 Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 Abs. 1 S. 1 SGG.
LG Emmaly
Alle von mir gemachten Angaben entsprechen meiner Lebenserfahrung und meinen Kenntnissen. Für die Richtigkeit wird nicht garantiert. Es findet keine Rechtsberatung statt. Sachfragen werden grundsätzlich nicht per E-Mail oder PN beantwortet.
Benutzeravatar
marsupilami
Benutzer
Beiträge: 35559
Registriert: Fr 27. Mär 2009, 13:41
Wohnort: Zu Hause

Re: S 121 AS 32195/09 ER - unabweisbaren Bedarf Abgrenzung

#2

Beitrag von marsupilami »

S_121_AS_32195_09_ER.pdf
Du hast keine ausreichende Berechtigung, um die Dateianhänge dieses Beitrags anzusehen.
Signatur?
Muss das sein?
Antworten

Zurück zu „Kosten der Unterkunft bei Miete“