BSG B 14 AS 6/08 zu Vermuteter Haushaltsgemeinschaft

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Koelsch
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B 14 AS 6/08 R BSG - keine Unterhaltsvermutung

#1

Beitrag von Koelsch »

Urteil zugunsten Hartz-IV-Empfänger

Erwachsenen "Hartz-IV"-Empfängern dürfen nicht die Leistungen gekürzt werden, nur weil sie mit Verwandten unter einem Dach zusammenleben. Aus dem gemeinsamen Wohnen könne nicht automatisch auf gemeinsames Wirtschaften geschlossen werden, entschied das Bundessozialgericht (BSG) in einem Urteil.

(AZ: B 14 AS 6/08 R)

Die Jobcenter müssten vielmehr nachweisen, dass die Arbeitslosen tatsächlich in einer Haushaltsgemeinschaft leben und "aus einem Topf" wirtschaften. Die Beweislast liege seit Einführung des ALG II nicht bei den Hilfeempfängern.

Quelle derzeit nur: http://www.ard-text.de/text/show

Ich such noch weiter

Etwas ausführlicher hier: http://www.focus.de/karriere/berufslebe ... 92638.html
Frei nach Hanns-Dieter Hüsch, ist der Kölner überhaupt zu allem unfähig. Er weiß nix, kann aber alles erklären.
Deshalb kann von mir keine Rechtsberatung erfolgen, auch nicht per e-mail oder PN.
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kleinchaos
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BSG B 14 AS 6/08 zu Vermuteter Haushaltsgemeinschaft

#2

Beitrag von kleinchaos »

Arge darf bei WG nicht einfach kürzen

Hartz IV Betroffenen darf nicht aufgrund einer Unterhaltsvermutung in Haushaltsgemeinschaften der Arbeitslosengeld II Regelsatz gekürzt werden. Das gilt auch, wenn die Betroffenen Verwandt sind.

Das Bundessozialgericht urteilte: Hartz IV Betroffenen darf nicht aufgrund einer Unterhaltsvermutung in Haushaltsgemeinschaften der Arbeitslosengeld II Regelsatz gekürzt werden

Das Bundessozialgericht in Kassel hat in einem gefällten Hartz IV Grundsatzurteil (Az.: B 14 AS 6/08 R) die Rechte von vielen Erwerbslosen erneut gestärkt. Hartz IV Betroffenen darf nicht aufgrund einer Unterhaltsvermutung in Haushaltsgemeinschaften der ALG II-Regelsatz gekürzt werden. Ein gemeinsames Wirtschaften muss auch bei zusammen lebenden Verwandten und Verschwägerten durch die Arge eindeutig nachgewiesen werden. Eine einfache Unterhaltsvermutung durch den Arge Sachbearbeiter reicht dabei nicht aus. Als sogenanntes Indiz reicht dabei ein bloßes Zusammenleben in einer Wohnung nicht aus. Über eine Wohngemeinschaft (WG) hinaus, müssen die Betroffenen auch einen gemeinsamen Haushalt eindeutig führen.
http://www.gegen-hartz.de/nachrichtenue ... t82223.php
Volltext wird bei Vorliegen nachgereicht
"Freiheit nur für die Anhänger der Regierung, nur für Mitglieder einer Partei - mögen sie noch so zahlreich sein - ist keine Freiheit. Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden." Rosa Luxemburg
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Günter
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Re: BSG B 14 AS 6/08 zu Vermuteter Haushaltsgemeinschaft

#3

Beitrag von Günter »

[15] Die Beklagte war nicht berechtigt, zu Lasten des Klägers von der Vermutungsregelung
des § 9 Abs 5 SGB II auszugehen. § 9 Abs 5 SGB II (in der Fassung des Vierten Gesetzes für
moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24. Dezember 2003, BGBl I 2954)
bestimmt: "Leben Hilfebedürftige in Haushaltsgemeinschaft mit Verwandten oder
Verschwägerten, so wird vermutet, dass sie von ihnen Leistungen erhalten, soweit dies nach
deren Einkommen und Vermögen erwartet werden kann." Das LSG ist zu Recht davon
ausgegangen, dass die Vermutung des § 9 Abs 5 SGB II hier nicht zu Lasten des Klägers
eingreift, weil tatsächlich keine Haushaltsgemeinschaft zwischen dem Kläger und seinem
Vater vorlag. Es kann hier insofern offen bleiben, ob das LSG zu der Überzeugung
gekommen ist, es liege schon rein tatsächlich keine Haushaltsgemeinschaft vor, oder ob die
Urteilsgründe so zu verstehen sind, dass es sich letztlich nur nicht erweisen lasse, ob eine
Haushaltsgemeinschaft vorliege. In beiden Fällen kann nicht davon ausgegangen werden, dass
eine Haushaltsgemeinschaft iS des § 9 Abs 5 SGB II vorliegt, denn das Vorliegen einer
solchen Haushaltsgemeinschaft ist die erste Tatbestandsvoraussetzung dafür, dass die
gesetzliche Vermutung - der Hilfebedürftige erhält Leistungen von den Verwandten oder
Verschwägerten - eingreifen kann. Das Vorliegen des Tatbestands der Haushaltsgemeinschaft
ist mithin von Amts wegen (§ 20 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch) festzustellen (vgl H.
Schellhorn in Hohm, SGB II, § 9 RdNr 51, Stand 10/2007; Mecke in Eicher/Spellbrink, SGB
II, 2. Aufl 2008, § 9 RdNr 66). Für die Unterhaltsvermutung in § 9 Abs 5 SGB II reicht es
gerade nicht aus, wenn Verwandte oder Verschwägerte in einem Haushalt lediglich
zusammen wohnen. Vielmehr muss über die bloße Wohngemeinschaft hinaus der Haushalt im
Sinne einer Wirtschaftsgemeinschaft gemeinsam geführt werden (vgl Hengelhaupt in
Hauck/Noftz, SGB II, K § 9 RdNr 157 ff, Stand 2/2007; Peters in Estelmann, SGB II, § 9
RdNr 67 ff, Stand 10/2006; H. Schellhorn in Hohm, SGB II, § 9 RdNr 52 ff; Mecke in
Eicher/Spellbrink, aaO, RdNr 52 ff). Nach der Begründung des Gesetzentwurfs des Vierten
Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 5. September 2003 (BT-Drucks
15/1516, S 53) ist dies dann der Fall, wenn die Verwandten oder Verschwägerten mit dem im
selben Haushalt lebenden Hilfebedürftigen "aus einem Topf" wirtschaften. Die
Anforderungen an das gemeinsame Wirtschaften gehen daher über die gemeinsame Nutzung
von Bad, Küche und ggf Gemeinschaftsräumen hinaus. Auch der in Wohngemeinschaften
häufig anzutreffende gemeinsame Einkauf von Grundnahrungsmitteln, Reinigungs- und
Sanitärartikeln aus einer von allen Mitbewohnern zu gleichen Teilen gespeisten
Gemeinschaftskasse begründet noch keine Wirtschaftsgemeinschaft.
[16] Die Voraussetzungen des Vorliegens einer solchen Wirtschaftsgemeinschaft von
mehreren in einer Wohnung zusammen lebenden Verwandten oder Verschwägerten müssen
vom jeweiligen Grundsicherungsträger positiv festgestellt werden (anders jetzt wohl die
Hinweise der Bundesagentur für Arbeit zu § 9 SGB II RdNr 9 und 23). Keinesfalls kann, was
offensichtlich der
Rechtsansicht der Beklagten entspricht, davon ausgegangen werden, dass § 9 Abs 5 SGB II
eine Vermutungsregelung auch dahingehend enthält, dass bereits dann, wenn Verwandte und
Verschwägerte nur gemeinsam in einer Wohnung zusammen leben, immer vom Vorliegen
einer Haushaltsgemeinschaft ausgegangen werden kann. Eine gesetzliche Vermutung auch für
das Vorliegen einer Haushaltsgemeinschaft enthält § 9 Abs 5 SGB II gerade nicht. Dies folgt
insbesondere aus einem Vergleich des § 9 Abs 5 SGB II mit der Regelung des § 36
Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII). § 36 Satz 1 SGB XII lautet: "Lebt eine Person,
die Sozialhilfe beansprucht (nachfragende Person), gemeinsam mit anderen Personen in einer
Wohnung oder in einer entsprechenden anderen Unterkunft, so wird vermutet, dass sie
gemeinsam wirtschaften (Haushaltsgemeinschaft) und dass sie von ihnen Leistungen zum
Lebensunterhalt erhält, soweit dies nach ihrem Einkommen und Vermögen erwartet werden
kann." Eine entsprechende Vermutungsregelung fehlt in § 9 Abs 5 SGB II. Der Gesetzgeber
hat - wie der Wortlaut der beiden Vorschriften ausweist - im SGB II gerade darauf verzichtet
zu normieren, dass bei einem Zusammenleben von Verwandten oder Verschwägerten in einer
Wohnung bereits das Vorliegen einer Haushaltsgemeinschaft vermutet werden kann. Dass der
Gesetzgeber des SGB II entsprechende Vermutungsregelungen aufstellen kann, steht außer
Frage. Er hat von dieser Möglichkeit etwa durch die Neuregelungen des § 7 Abs 3a SGB II
Gebrauch gemacht.
[17] Mithin ist davon auszugehen, dass es zunächst einer positiven Feststellung des
Grundsicherungsträgers bedarf, dass ein Wirtschaften aus einem Topf
(Haushaltsgemeinschaft) zwischen dem Hilfebedürftigen und einem Verwandten bzw
Verschwägerten vorliegt, mit dem dieser in einer Wohnung zusammen lebt.
[18] Das LSG hat insoweit keine eindeutige Feststellung getroffen. Zu Recht ist es allerdings
davon ausgegangen, dass die Nichterweislichkeit des Vorliegens einer Haushaltsgemeinschaft
hier zu Lasten der Beklagten geht. Der Beklagten ist zwar einzuräumen, dass der
Rechtsprechung des BVerwG zu § 16 BSHG eine gewisse Tendenz zu entnehmen ist, dass die
Beweislast für das Nichtvorliegen einer Haushaltsgemeinschaft den jeweiligen
Sozialhilfeempfänger traf (vgl BVerwGE 23, 255 ff). Allerdings ist diese - zum mittlerweile
aufgehobenen BSHG - ergangene Rechtsprechung nicht auf § 9 Abs 5 SGB II übertragbar.
Insbesondere kann diese Rechtsprechung nicht der Aufspaltung des früheren § 16 BSHG in §
36 SGB XII einerseits und § 9 Abs 5 SGB II andererseits ausreichend Rechnung tragen. Es
mag zutreffend sein, dass die unterschiedlichen Vermutungsregelungen in § 9 Abs 5 SGB II
und § 36 SGB XII nicht sinnvoll sind (so explizit Conradis in LPK-SGB XII, 8. Aufl 2008, §
36 RdNr 2). De lege lata ist jedoch vom Grundsicherungsträger hinzunehmen, dass § 9 Abs 5
SGB II anders als § 36 SGB XII keine ausdrückliche Vermutungsregelung für das Vorliegen
einer Haushaltsgemeinschaft bei bloßem Zusammenwohnen enthält.
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Ich könnte freundlich, aber wozu? :6:
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