Einige Anmerkungen zu Befangenheit (§§ 16, 17 SGB X) und Co

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Koelsch
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Einige Anmerkungen zu Befangenheit (§§ 16, 17 SGB X) und Co

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Beitrag von Koelsch »

Eine e-mail, die mir Willy Voigt heute sandte:
Abschließend von mir noch einige Anmerkungen zu Befangenheit (§§ 16, 17 SGB X) und Co (aus einer meiner eMails an die KEAs)‏

Befangenheitsantrag, eine Dienstaufsichtsbeschwerde und/oder eine Strafanzeige.

Ein Befangenheitsantrag hat das Ziel, einen Behördenmitarbeiter von der weiteren Mitwirkung im Verfahren auszuschließen (s. §§ 16, 17 SGB X). Er führt in der Regel zu einem längeren Verfahren mit viel Schreibaufwand, an dessen Ende bestenfalls ein unwilliger Ersatzmitarbeiter den Fall weiterbear­beitet.

Eine eingelegte Dienstaufsichtsbeschwerde zielt darauf ab, Mitarbeiter wegen Fehlverhaltens disziplinarisch zu belangen, etwa in Form einer Ermah­nung, Rüge oder Versetzung. Solche Maßnahmen obliegen den Vorgesetzten.

Eine Strafanzeige ist ein gravierendes Mittel weil bspw. der Verdacht einer versuchten Nötigung in einem besonders schweren Fall (und zwar als Amtsperson) besteht. Einen sol­chen Hammer sollte man allenfalls nach reiflicher Überlegung einsetzen, wenn wirklich der Eindruck kriminellen Verhaltens sich gefestigt hat. Dem­entsprechend ist die Möglichkeit dazu vorher anzudeuten, aber bis auf weite­res erst mal im Köcher zu lassen (vgl. Albrecht Brühl, Was Jobcenter (sich) leisten; dieses Büchlein ist eine sehr gute Ergänzung zum primus inter pares unter den Ratgebern, Arbeitslosenprojekt TuWas Leitfaden zum Arbeitslosengeld II).

Meine Anmerkung: Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Die formlosen Rechtsbehelfe werden innerhalb der Verwaltung, aber auch von Betroffenen als die drei "F" formlos, fristlos, fruchtlos bezeichnet. Diese Einschätzung ist oft, aber durchaus nicht in allen Fällen, zutreffend.
Trotz der oft geringen sichtbaren Wirkung formloser Rechtsbehelfe sollte nicht stets darauf verzichten werden, gegen Verwaltungsmitar­beiter vorzugehen, die Menschen rechtswidrig behandeln. Die Ein­schaltung von Vorgesetzten und Aufsichtsbehörden wird von den Bediensteten, gegen die sich der formlose Rechtsbehelf richtet, meist als unangenehm empfunden. Dies kann dazu führen, dass sie das bean­standete Verhalten ändern. Außerdem kann der formlose Rechtsbe­helf interne Rügen und Maßnahmen auslösen, die dem Bürger zwar nicht mitgeteilt werden, jedoch durchaus wirksam sein können.
Stets muss aber mit den Betroffenen abgeklärt werden, ob ein derar­tiges Vorgehen letztlich in deren Interesse liegt. Insbesondere in den Fällen, in denen der Betroffene weiterhin von Entscheidungen der Verwaltung abhängt (z. B. im Rahmen der Grundsicherung), kann selbst eine berechtigte Beschwerde dazu führen, dass der Betroffene anschließend lange Zeit von Verwaltungsangehörigen, z.B. durch Nichtbearbeitung oder "Verlust" von Anträgen, Auferlegung unver­hältnismäßiger Nachweispflichten, ungünstige Ausfüllung von Hand­lungsspielräumen, "bestraft" wird (vgl. Verwaltungsrecht für die soziale Praxis, 24.Aufl.)

Zu guter Letzt

"Die geringe Regelungsdichte des SGB II eröffnete Verwaltungen und Gerichten zwar Handlungsspielräume, führte aber auch zu Friktionen und großer Verunsicherung. Zwischenzeitlich konnten durch Rechtsprechung und die Nacharbeit des Gesetzgebers viele Zweifelsfragen geklärt werden. Die weitere Feinjustierung bleibt aber für alle beteiligten Akteure eine Daueraufgabe" (Voelzke, Zehn Jahre Grundsicherung für Arbeitsuchende, SGb 01.15, 6).

Albrecht Brühl: Was Jobcenter (sich) leisten
"Fünf Originalaktenfälle mit Kommentar geben einen unmittelbaren Eindruck in die erschreckende Realität von Hartz IV."

"Im Anhang werden Originalfälle wiedergegeben, deren ursprünglich vorgesehene Zahl aus Platzgründen um die Hälfte gekürzt werden musste. Gerade bei ihnen zeigt sich, dass die Hartz IV- Bescheidung kein Anlass für Jubelarien ist, wie sie zu ihrem zehnjährigen In­krafttreten am 1.1.2015 intoniert wurden."

"Die Begleitung von SGB Il-leistungsberechtigten Menschen geht an Beratern und Rechtsbeiständen nicht spurlos vorbei. Sie ist nicht nur geprägt von Erfolgen bei der Rechtsdurchsetzung und von Bewunderung für lebens­starke Personen (überwiegend Frauen) in prekärer Situation, sondern auch von Niedergeschlagenheit und Ohnmacht angesichts schwieriger Lebensver­hältnisse sowie begrenzter rechtlicher Möglichkeiten gegenüber der Macht von Behörden und Gerichten."
"Selbst bei Leistungsgewährung ist das Leben am Rande des Existenzmini­mums eine ständige Gratwanderung. Jede unüberlegte Ausgabe führt zu nicht wieder gut zu machenden Notlagen, die keine Solidarität erlauben und viele psychisch niederdrücken. Auch ohne den Arbeitslosengeld II-Ratgeber des Kreises Pinneberg bleibt oft nichts anderes als Leitungs-, statt Mineral­wasser, Dusche statt Vollbad, stark reduzierter Fleischkonsum (Ratgeberzitat: "Tante Laura wollte sowieso Vegetarierin werden"), Verkauf von Hausrat, Möbel und Schmuck. Nicht nur Arbeit führt zu psychischer Krankheit, son­dern mehr noch Arbeitslosigkeit und Sozialleistungsabhängigkeit. Als Trost bleibt allenfalls die Hilfe Dritter, die oft nur durch Betteln bei Bekannten und Verwandten sowie Besuch bei den Tafeln erfahren wird.

Schlusswort (Rainer Forst, Gerechtigkeit ist radikal, Spiegelgespräch Heft 34/2013, S. 106, 109):

"Wenn marginalisierte Gruppen - Arbeitslose, Alleinerziehende, Kranke, Alte - re­signieren und gar nicht mehr als autonome Subjekte in ihren Interessen repräsen­tiert sind, dann laufen solche Entfremdungserscheinungen auf eine fatale Ent­wicklung hinaus, die eine demokratische Gesellschaft desavouiert."

Meine Arbeit gründet sich auf dem alttestamentlichen Befund "Wir warteten auf Rechtsspruch, siehe, da war Rechtsbruch, wir hofften auf Gerechtigkeit, siehe, da kam Geschrei über Schlechtigkeit" (Jesaja 5,7) sowie die neutestamentliche Zuversicht "Wir warten auf einen neuen Himmel und eine neue Er­de nach seiner Verheißung, in denen Gerechtigkeit wohnt" (2. Petrusbrief 3,13) und will durch den Versuch, die gesetzlichen Ansprüche von SGB II-Be- rechtigten zu verwirklichen, einen Beitrag zu einer kleinen konkreten Ge­rechtigkeit leisten.

Lit.: Bedford-Strohm, Vorrang für die Armen. Auf dem Weg zu einer theologi­schen Theorie der Gerechtigkeit, 1993; Neudeck, Radikal leben, 2014."
Frei nach Hanns-Dieter Hüsch, ist der Kölner überhaupt zu allem unfähig. Er weiß nix, kann aber alles erklären.
Deshalb kann von mir keine Rechtsberatung erfolgen, auch nicht per e-mail oder PN.
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