Arbeitshilfe: Praktikum mit Duldung/Aufenthaltsgestattung

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Koelsch
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Arbeitshilfe: Praktikum mit Duldung/Aufenthaltsgestattung

#1

Beitrag von Koelsch »

Liebe Kolleg_innen,

am 1. August 2015 sind einigermaßen unbemerkt einige wichtige Änderungen auch in der Beschäftigungsverordnung in Kraft getreten: So ist es nun für Personen mit einer Duldung und einer Aufenthaltsgestattung möglich, unter erleichterten Bedingungen ein Praktikum - etwa zur Vorbereitung auf eine Berufsausbildung oder im Rahmen einer Einstiegsqualifizierung - auszuüben. Wie üblich sind die Regelungen dennoch relativ komplex, und für die unterschiedlichen Konstellationen von Praktika gelten weiterhin sehr differenzierte Voraussetzungen.

Hier ist eine tabellarische Übersicht, in der ich versucht habe, die Bedingungen einigermaßen vollständig, aber dennoch praktikabel zusammenzufassen:

Auch die Bundesagentur für Arbeit hat ebenfalls bereits eine aktuelle Arbeitshilfe erstellt, die jedoch leider bestimmte wichtige Sachverhalte nicht vollständig erfasst.

Gestattet mir unabhängig von den fachlichen Fragen noch ein paar - polemische, aber vollständig so gemeinte - Worte zur aktuellen, mich immer wütender werden lassenden Debatte über die Selektion von Menschen mit "hoher" gegenüber denjenigen mit "niedriger Bleibeperspektive". Oder, um es anders auszudrücken: zur von Seehofer bis Kretschmann parteiübergreifend für richtig gehaltenen (und nur in der Wortwahl sich unterscheidenden) Produktion gesellschaftlicher Verachtung gegenüber allen Menschen aus dem Westbalkan.

Es ist natürlich reine Ideologie, Einwanderer_innen aufgrund ihrer nationalen (in Wahrheit gemeint, aber nicht offen ausgesprochen: ethnischen) Herkunft in Menschen mit scheinbar hoher oder niedriger Bleibeperspektive zu sortieren und zugleich mit guten oder schlechten Teilhabechancen auszustatten, mit vermeintlich berechtigten oder unberechtigten Migrationsgründen zu belegen. (Leider folgt dieser Ideologie dennoch auch die Bundesagentur für Arbeit mit dem Projekt "Early Intervention".)

Besonders schamlos vertreten wird das Paradigma gesellschaftlicher (und zunehmend auch moralischer - Stichwort: "Asylmissbrauch") Exklusion einer ganzen Bevölkerungsgruppe insbesondere von einer großen rechtspopulistischen Staatspartei aus Bayern, der dummerweise mit der europarechtswidrigen Ausländermaut und der grundgesetzwidrigen Herdprämie ihre angestammten, reaktionären Themen ausgegangen sind. Nun versucht sie ersatzweise die Stammtische, Bierzelte und Sozialen Netzwerke sich geneigt zu halten, indem sie standardmäßige Arbeitsverbote für Menschen aus den falschen Herkunftsländern anordnet, sich mit immer höheren Abschiebungszahlen in die Balkanstaaten gegenüber der empfänglichen Öffentlichkeit brüstet (ein oberflächlicher Blick auf die Facebook-Seite von Andreas Scheuer genügt völlig), offenkundig verfassungswidrige Leistungskürzungen fordert und grenznahe "Zigeunerlager" (Zitat Flüchtlingsrat Bayern) installiert. Völlig zurecht ist Maximilian Popp auf spiegel online fassungslos, wenn er konstatieren muss: "Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer kann, 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs, öffentlich über Lager für bestimmte Volksgruppen auf deutschem Boden nachdenken, ohne sofort zurücktreten zu müssen." Es ist unter anderem wohl dies, was die Sozialwissenschaftler um den Bielefelder Forscher Wilhelm Heitmeyer in ihrer Langzeitstudie "Deutsche Zustände" mit "Verrohung des Bürgertums" meinen, mit einer "entsicherten wie entkultivierten Bürgerlichkeit".

Unsere Aufgabe ist daher jedoch nicht nur, grundsätzlich der Entrechtung und gesellschaftlichen Entwertung ganzer Bevölkerungsgruppen in Deutschland entgegenzutreten, indem das Recht auf die freie Wahl des Wohnsitzes, das Recht auf globale Bewegungsfreiheit, gleiche soziale Rechte für jede Person in Deutschland von uns immer wieder und immer stärker als das eingefordert werden sollte, was es jeweils ist: ein ganz normales Menschenrecht, das es (zum Teil) nur noch nicht geschafft hat, also solches kodifiziert zu werden. Unsere Aufgabe ist vielmehr auch, uns ganz pragmatisch in jedem Einzelfall und völlig unabhängig vom Herkunftsland für eine "hohe Bleibeperspektive" einzusetzen: durch Vermittlung in Ausbildung oder Arbeit, Härtefallanträge, Abschiebungsblockaden, Anerkennung eines ausländischen Berufsabschlusses, Gerichtsverfahren, öffentliche Skandalisierungen, selbstbewusste Aktionen der Betroffenen, solidarische Unterstützung von Illegalisierten, Lobbyarbeit gegenüber politischen Entscheidungsträgern - kurz: durch die Schaffung von "Vollzugsdefiziten", wie sie die Vertreter der Abschiebungsbürokratie offiziell nennen.

Und - um den Kreis wieder zu schließen: Ein "Vollzugsdefizit" kann manchmal auch die Absolvierung eines Praktikums, der Beginn einer Ausbildung, das Ableisten eines Freiwilligen Sozialen Jahrs sein. Schon klar: Es geht zwar eigentlich um die ganze Bäckerei. Aber uneigentlich: Manchmal ist wenig viel.

Liebe Grüße

Claudius


--
Claudius Voigt
Projekt Q - Büro für Qualifizierung der Flüchtlings- und Migrationsberatung
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Mob: 01578 0497423
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Koelsch
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Re: Arbeitshilfe: Praktikum mit Duldung/Aufenthaltsgestattung

#2

Beitrag von Koelsch »

Liebe Kolleg_innen,

dank des Hinweises eines aufmerksamen Kollegen der Handwerkskammer
Hamburg musste ich feststellen, dass die gestern hochgeladene Übersicht
zur Frage der Arbeitserlaubnis bei Praktika aufgrund der Tücken der
Technik eine falsche Version war. Darin fehlten zwei ganz wesentliche
Regelungen (ausbildungsvorbereitende Praktika sowie vorgeschriebene
Praktika im Rahmen eines Studiums oder einer Ausbildung).

Die Übersicht ist nun in aktualisierte Form erneut hochgeladen (Datum:
6. August). Auch unter dem gestern versandten Link erreichen Sie nun die
aktuelle Fassung. Hier ist der Link noch einmal:
http://ggua.de/fileadmin/downloads/tabe ... is_bzw.pdf

Falls Sie die Datei ausgedruckt oder abgespeichert haben sollten, bitte
ich Sie diese zu ersetzen.

Liebe Grüße

Claudius
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