Rücknahme gegen Kinder wg. Fehler der Eltern?

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Koelsch
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Rücknahme gegen Kinder wg. Fehler der Eltern?

#1

Beitrag von Koelsch »

Ist die Rücknahme und Aufhebung von Leistungen nach SGB-II gegen minderjährigen Hilfebedürftigen wegen falscher Angaben der Mutter rechtswidrig?

Nein, denn die Rücknahme und Aufhebung von Leistungen nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch gegen einen minderjährigen 15 - jährigen Hilfebedürftigen wegen falscher Angaben seiner Mutter als Vertreterin der Bedarfsgemeinschaft in Bezug auf das Verschweigen ihrer Witwenrente bei Antragstellung ALG II ist statthaft(Bayerisches Landessozialgericht Urteil vom 01.07.2010- L 11 AS 162/09, Revision zugelassen beim BSG unter AZ.:B 14 AS 144/10 R).

Eine Zurechnung des Vertreterhandelns kommt in Betracht, wenn eine ausdrückliche gesetzliche Bevollmächtigung bejaht werden kann. Die Mutter konnte als nach § 1626 BGB Sorgeberechtigte den minderjährigen Sohn nach §§ 1629 i.V.m. 164ff BGB wirksam vertreten. Dem steht auch nicht entgegen, dass der Sohn bereits zum Zeitpunkt der ersten Antragstellung das fünfzehnte Lebensjahr vollendet hatte und danach nach § 36 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) selbst handlungsfähig war. Die Befugnis zu einer eigenen Antragstellung des Minderjährigen nach § 36 Abs. 1 S.1 SGB I ist zwar vorrangig gegenüber den daneben bestehenden Rechten des gesetzlichen Vertreters, verdrängt diese jedoch nicht.

Das Verschulden der Mutter ist dem Sohn auch zuzurechnen, denn der er durch die Mutter vertretene Sohn muss die Folgen wissentlich unwahrer Angaben oder das Verschweigen wesentlicher Umstände durch seine gesetzliche Vertreterin gegen sich gelten lassen (vgl. Waschull in Fichte/Plagemann/ Waschull, Sozialverwaltungsverfahren, Rdnr. 156; Vogelsang in Hauck/Noftz, SGB X, § 45 Rdnr. 40, 43,44; Radüge in jurisPK - SGB II, § 38 Rdnr. 16;). Dies gilt auch dann, wenn - wie hier - nur in der Person der vertretenden Mutter die Voraussetzungen für zumindest grob fahrlässig unrichtig oder unvollständig gemachte Angaben vorliegen (vgl. BSGE 28, 258ff; Schütze in von Wulffen SGB X, 6. Aufl. § 45 Rdnr. 51). Soweit das Sozialgesetzbuch schon von einer eigenen Handlungsfähigkeit eines Minderjährigen ausgeht, ist es ihm dann auch möglich und zumutbar, die Angaben der ihn vertretenden Mutter zu überprüfen.

Nach § 50 SGB X hat der hilfebedürftige Sohn die erbrachten Leistungen zu erstatten,§ 1629 a BGB findet keine (entsprechende) Anwendung. Nach § 1629 a Abs. 1 BGB beschränkt sich die Haftung für Verbindlichkeiten, die die Eltern im Rahmen ihrer gesetzlichen Vertretungsmacht begründet haben, auf den Bestand des bei Eintritt der Volljährigkeit vorhandenen Vermögens des Kindes. § 1629 a Abs. 1 BGB kann bei der Frage der Erstattung aber auch nicht in Form einer Ermessensentscheidung berücksichtigt werden, denn es handelt sich bei § 50 SGB X um eine gebundene Entscheidung. Darüber hinaus wäre eine Haftungsbeschränkung im vorliegenden Fall wegen § 1629 a Abs. 2 BGB ausgeschlossen. Danach findet § 1629 a Abs. 1 BGB keine Anwendung für Verbindlichkeiten aus Rechtsgeschäften, die allein der Befriedigung der persönlichen Bedürfnisse des Minderjährigen dienten. Die vom Sohn bezogenen Leistungen sicherten aber das persönliche Existenzminimum und kamen damit diesem unmittelbar zu Gute (vgl. hierzu die Gesetzesbegründung BT-Drucks. 13/5624 S. 13), eine Haftungsbeschränkung wäre somit ausgeschlossen.


++ Anmerkung: Siehe dazu auch Beitrag von RA Ludwig Zimmermann, Autor des Buches Das Hartz IV- Mandat

Müssen minderjährige Hilfebedürftige, die durch Verschulden ihrer Eltern unrechtmäßig Leistungen nach dem SGB II erhalten haben, damit rechnen auch nach Eintritt ihrer Volljährigkeit Rückforderungsansprüchen der Leistungsträger ausgesetzt zu sein?

Ja, aber der vormals Minderjährige kann gegenüber dem Leistungsträger die Einrede der Haftung auf den Bestand seines Vermögens zum Zeitpunkt der Volljährigkeit erheben (§§ 1629a Abs.1 BGB).

Der Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II (§§ 20, 22, 28 SGB II) ist ebenso wie der Anspruch auf Rückforderung von Leistungen (§ 50 SGB X) ein individueller Anspruch, der gegenüber jedem einzelnen Hilfebedürftigen einer Bedarfsgemeinschaft besteht.

Die Leistungsträger müssen, da die Leistungsbescheide konstitutiv sind, diese Bescheide nach den Regelungen in den §§ 45, 48 ff. SGB X aufheben und mittels eines Aufhebungs- (§§ 45, 48 SGB X) und Erstattungsbescheides (§ 50 Abs. 3 S.1 SGB X) zurückfordern.

Der Erstattungsbescheid, der regelmäßig mit dem Aufhebungsbescheid verbunden wird, ist ein Bescheid, der zur Durchsetzung des Anspruchs eines öffentlich-rechtlichen Rechtsträgers erlassen wird (§ 52 Abs.1 SGB X). Ein bestandskräftiger (unanfechtbarer) Erstattungsbescheid verjährt in 30 Jahren (§ 52 Abs. 2 SGB X), so dass der Erstattungsanspruch gegen den vormals Minderjährigen, jedenfalls wenn er volljährig wird, noch nicht verjährt ist.

Hinweis: Selbstverständlich kann der vormals minderjährige Hilfebedürftige auch Schadenersatzansprüche (§ 1664 Abs. 1 BGB) gegenüber seinen Eltern geltend machen (OLG Brandenburg Urteil vom 29.03.2007 - 12 U 185/06), und die Leistungsträger könnten sich diese Ansprüche pfänden- und überweisen lassen.

Zur Rückforderung von Leistungen allgemein vergleiche: Zimmermann, Das Hartz-IV-Mandat, Baden-Baden 2010, § 6 Rn. 8 ff..
http://www.hartz4.nomos.de/zimmermann-d ... iv-mandat/

Der Text stammt freundlicherweise aus dem "Tacheles-Rechtsprechungsticker, http://www.tacheles-sozialhilfe.de"
Frei nach Hanns-Dieter Hüsch, ist der Kölner überhaupt zu allem unfähig. Er weiß nix, kann aber alles erklären.
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