BSG Anrechnung Existenzgründungszuschuss B 14/7b AS 16/06 R

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Günter
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BSG Anrechnung Existenzgründungszuschuss B 14/7b AS 16/06 R

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BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 6.12.2007, B 14/7b AS 16/06 R

Grundsicherung für Arbeitsuchende - Einkommensberücksichtigung - Existenzgründungszuschuss - zweckbestimmte Einnahme

Leitsätze

Der Existenzgründungszuschuss gem § 421l SGB 3 ist bei der Berechnung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB 2 zu berücksichtigen.

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Der Existenzgründungszuschuss nach § 421 l SGB III bleibt nicht als zweckbestimmte Einnahme gemäß § 11 Abs 3 Nr 1 Buchst a SGB II von der Berücksichtigung als Einkommen nach § 11 Abs 1 Satz 1 SGB II ausgenommen. Er dient demselben Zweck wie das Arbeitslosengeld II (Alg II), nämlich der Sicherstellung des Lebensunterhalts (im Ergebnis ebenso LSG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 26. April 2007 - L 26 B 550/07 AS ER; 16. Dezember 2005 - L 25 B 1267/05 AS ER; 6. Dezember 2005 - L 10 B 1144/05 AS ER; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 10. November 2005, Breithaupt 2006, 591, 593; Hessisches LSG, Beschluss vom 29. Juni 2005, FEVS 57, 184, 185 f; Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, Stand November 2007, K § 11 RdNr 266b; Schmidt in Oestreicher, SGB II, Stand September 2007, § 11 RdNr 126; Spellbrink in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2005, § 29 RdNr 5, 11; aA LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 20. September 2007 - L 7 AS 880/06; Hessisches LSG, Beschluss vom 4. Dezember 2006, ZFSH/SGB 2007, 221, 223; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 23. Juni 2005, FEVS 57, 253; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 7. September 2006 - L 20 B 178/06 AS ER; Brühl in LPK-SGB II, 2. Aufl 2007, § 11 RdNr 52).
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Eine Leistung ist dann zweckbestimmt iS des § 11 Abs 3 Nr 1 Buchst a SGB II, wenn ihr vom Gesetzgeber erkennbar eine bestimmte Zweckrichtung beigemessen ist, die im Fall der Anrechnung der Leistung auf das Alg II zu einer Zweckvereitelung führen würde (vgl BSG SozR 4-4200 § 11 Nr 3 RdNr 17 zum Erziehungsbeitrag nach § 39 Abs 1 Satz 2 Achtes Buch Sozialgesetzbuch; vgl auch zur Frage der Anrechnung einer zweckgebundenen Leistung auf die Arbeitslosenhilfe BSG SozR 4100 § 138 AFG Nr 5 S 21 f; BSG SozR 4100 § 138 AFG Nr 13 S 53; BSGE 66, 134, 137 = SozR 3-4100 § 138 Nr 1 S 4; BSG SozR 3-4100 § 138 Nr 2 S 10). Die Vorschrift soll aber auch verhindern, dass für einen identischen Zweck Doppelleistungen erbracht werden (vgl BSG Urteil vom 5. September 2007 - B 11b AS 15/06 R; Urteile des Senats vom 6. Dezember 2007 - B 14/7b AS 62/06 R - und - B 14/7b AS 20/07 R - zur Berücksichtigung von Verletztenrenten aus der gesetzlichen Unfallversicherung). Der Wortlaut des § 11 Abs 3 Nr 1 Buchst a SGB II unterscheidet sich insofern von der entsprechenden Vorschrift im Sozialhilferecht, als § 83 Abs 1 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (vormals § 77 Bundessozialhilfegesetz ) einen in öffentlich-rechtlichen Vorschriften ausdrücklich genannten Zweck fordert. Eine solche explizite Zweckbestimmung findet sich, anders als beim Überbrückungsgeld nach § 57 SGB III aF (hier in der Fassung des Vierten Gesetzes zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 19. November 2004), in § 421 l SGB III nicht. Sie ist nach der weiteren Formulierung des § 11 Abs 3 Nr 1 SGB II, der keine ausdrückliche Benennung eines Zwecks fordert, auch nicht notwendig. Die Gesetzesfassung erklärt sich aus dem Bestreben, zweckidentische Leistungen unabhängig von ihrer Bezeichnung und ihrem Rechtscharakter zu berücksichtigen. Der Gesetzgeber will im Rahmen der Berücksichtigung von Einkommen nach dem SGB II grundsätzlich sämtliche Zahlungen mit Entgeltfunktion erfassen. Dies wird vor allem aus § 11 Abs 1 Satz 1 Halbsatz 2 SGB II deutlich. Für die dort aufgeführten Renten und Beihilfen gilt: Es werden nur die Grundrenten von einer Einkommensanrechnung ausgenommen, nicht aber die nach den genannten Gesetzen zu zahlenden weiteren Leistungen, also solche, die - abstellend auf die betreffende Einkommensminderung - ihrerseits erkennbar Entgeltersatzfunktion haben (vgl BSG aaO).
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Das Alg II dient der Sicherung des Lebensunterhalts von erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, soweit die Hilfebedürftigkeit nicht anderweitig beseitigt werden kann (BT-Drucks 15/1516 S 56; vgl BSG Urteil vom 29. März 2007 - B 7b AS 12/06 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 3 RdNr 17). Auf diese Absicherung ist auch der Existenzgründungszuschusses ausgerichtet. Zwar ergibt sich dies anders als beim früheren Überbrückungsgeld nach § 57 SGB III aF nicht unmittelbar aus dem Wortlaut des § 421 l Abs 1 SGB III. Danach haben Arbeitnehmer, die durch Aufnahme einer selbstständigen hauptberuflichen Tätigkeit die Arbeitslosigkeit beenden, Anspruch auf einen monatlichen Existenzgründungszuschuss. Dieser Zuschuss wird geleistet, wenn der Existenzgründer (Nr 1) in engem Zusammenhang mit der Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit Entgeltersatzleistungen nach dem SGB III bezogen oder eine Beschäftigung ausgeübt hat, die als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme nach dem SGB III gefördert worden ist, (Nr 2) nach Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit Arbeitseinkommen nach § 15 Viertes Buch Sozialgesetzbuch erzielen wird, das voraussichtlich 25.000,-- Euro im Jahr nicht überschreiten wird und (Nr 3) eine Stellungnahme einer fachkundigen Stelle über die Tragfähigkeit der Existenzgründung vorgelegt hat. Der Zuschuss wird gemäß § 421 l Abs 2 SGB III bis zu drei Jahren erbracht und jeweils längstens für ein Jahr bewilligt. Er beträgt im ersten Jahr nach Beendigung der Arbeitslosigkeit monatlich 600,-- Euro, im zweiten Jahr monatlich 360,-- Euro und im dritten Jahr monatlich 240,-- Euro. Dem Wortlaut des § 421 l Abs 1 Satz 1 SGB III kann allenfalls insofern ein Hinweis entnommen werden, als der Begriff "Zuschuss" darauf hindeutet, dass es sich nur um eine zusätzliche Leistung handelt, mit der nicht der gesamte Bedarf für einen bestimmten Zweck gedeckt wird. Dem entspricht die Pauschalierung der Leistung, die nicht an die Höhe der zuvor bezogenen Entgeltersatzleistungen anknüpft und nicht nach dem konkreten individuellen Bedarf bemessen wird.


Auf die Revision der beklagten Arge wurde das Urteil des LSG aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen.

Die Beklagte hat den Existenzgründungszuschuss zu Recht als Einkommen des Ehemannes mit der Folge berücksichtigt, dass das Alg II um den monatlichen Zahlbetrag des Existenzgründungszuschusses zu kürzen war. Beim Existenzgründungszuschuss handelt es sich nicht um eine zweckbestimmte Einnahme, die einem anderen Zweck dient als die Leistungen nach dem SGB II und deshalb bei der Ermittlung des Einkommens im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende unberücksichtigt bleibt. Zwar ergibt sich der Zweck des Existenzgründungszuschusses nicht ohne weiteres aus der maßgebenden Regelung in § 421L SGB III. Den Gesetzgebungsmaterialien ist zu entnehmen, dass diese 2003 eingeführte Leistung einen sozial abgesicherten Start in die Selbständigkeit gewährleisten sollte. Sie sollte damit sowohl der sozialen Sicherung als auch der Sicherung des Lebensunterhalts in der Zeit der Existenzgründung dienen. Es ist dagegen nicht zu erkennen, dass der Existenzgründungszuschuss vorrangig der Anschaffung und dem Unterhalt von Betriebsmitteln dienen sollte. Damit steht zwar fest, dass der Zuschuss als Einkommen zu berücksichtigen ist, doch sind die Feststellungen zu dem für die Ermittlung des Alg II maßgebenden Einkommen aus selbständiger Tätigkeit nicht nachvollziehbar, sodass die Sache zur weiteren Sachaufklärung an das LSG zurückverwiesen werden musste.

SG Oldenburg - S 47 AS 206/05 -
LSG Niedersachsen-Bremen - L 8 AS 29/06 - - B 14/7b AS 16/06 R -
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Ich könnte freundlich, aber wozu? :6:
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